It's Still Real To Me, Damn It!

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Die große Retrospektive holt das Beste aus der Welt des Wrestling(film)s auf die große Leinwand: Von Kino-Klassikern wie The Wrestler und Nacho Libre über große Dokus wie Beyond The Mat und GLOW: The Story of the Gorgeous Ladies of Wrestling bis hin zu obskuren Kleinoden wie Bodyslam: Revenge of the banana und The Calamari Wrestler. Inklusive der besten Matches im Vorprogramm — und einem Live-Kampf im Kinofoyer.
Für den Inhalt verantwortlich: Norman Shetler, Markus Lust, Lukas Kirisits. Filmtexte: Markus Lust
Wrestling is real. People are fake.
Ken Anderson
Wrestling und Film haben ein historisch nicht gerade unvorbelastetes Verhältnis. Das liegt zum einen am Minderwertigkeitskomplex von Milliardär McMahon, der seine World Wrestling Federation immer aus dem vermeintlichen Wrestling-Sud emporheben und zu einer Art Ersatz-Hollywood mit Spandex-Kostümen umbauen wollte — ein Vorhaben, das in der WWE bis heute nachhallt, wo immer noch alles, was stilistisch von einer Fußballspiel-Übertragung abweicht, hochtrabend als „Cinema“ bezeichnet wird.
Zum anderen standen Wrestling und Film auch immer im echten wirtschaftlichen Wettstreit miteinander; ein Kampf, bei dem Wrestling in der Regel den Kürzeren zog, weil selbst die ganz Großen ihren Stars unmöglich die Gagen oder den Mainstream-Erfolg bieten konnten, den der obere Echelon der Film-Welt versprach. Die Membran zwischen den beiden Künsten ist durchlässig — aber nur in eine Richtung. Dwayne „The Rock“ Johnson, Dave Bautista und John Cena sind hindurchgegangen und heute Hollywood-Größen. Beispiele in die Gegenrichtung existieren nicht. Im Wrestling berühmt sein, das war lange Zeit wie bei Monopoly reich sein. Es war Empowerment für Underdogs, Selbstermächtigung der Unterschicht, mit einem eigenen Word Heavyweight Champion in jedem Hintertupfing.
Entsprechend wichtig, ja fast schon: programmatisch war seit jeher auch die Abgrenzung gegen sämtliche Arten von Mainstream-Kunst, inklusive der Großkopferten vom Film. Das bekam man auch im Gartenbaukino schon zu spüren: Als Wrestling-Fans im Jahr 2004 im Rahmen der Viennale hier Einzug hielten (damals anlässlich eines Screenings des Backyard-Films BB von Cameron Jamie mit einem Live-Konzert der Melvins), begrüßte Viennale-Direktor Hans Hurch das Publikum der Spätvorstellung stolz als „die Wiener Art Scene“, woraufhin der Saal prompt zurückschrie: „Du mich auch!“
Hinzukommt, dass Wrestling sich nur schwer auf bzw. in Film übersetzen lässt, weil Live-Performance nach völlig anderen Regeln funktioniert als fixierte Bewegtbild-Inszenierung für die Ewigkeit. Nicht selten wirken Wrestling-Szenen im Film daher ungelenk und blutleer und es bedarf einigen „Suspension of disbelief“-technischen Mehraufwands beim Schauen.
Wrestling is ballet with violence.
Jesse „The Body“ Ventura
Das klingt jetzt alles ein wenig so, als wäre eine Retrospektive zu dem Thema eigentlich eher keine so gute Idee — oder als müsste es zumindest „Wrestling vs. Film“ statt „Wrestling im Film“ heißen. Aber wie vor allem Wrestling-Fans wissen, sind besonders die Dinge, die an der Oberfläche nach Kampf aussehen, im Kern meistens Teamwork, und Kontroversen immer gut fürs Geschäft.
In einigen ausgewählten Einzelfällen harmonieren die beiden Erzfeind-Genres nämlich wie die besteingespielten Tanzpartner:innen und ergänzen sich zu einer kollaborativen Kunstform, die an Großartigkeit, Absurdität und Suspense kaum zu überbieten ist. Diesen Filmen ist unsere Werkschau gewidmet.
Sie zeigen Wrestling als obskuren, aber urteilsfreien Safe Space und als Orgie des Mitmach-Exzesses; als Fantasiewelt voller Kaijus und Fabelwesen, aber auch als beinharte Realität an den Grenzen Mexikos; als Nostalgie-Portal und als transgressive Feier von Queerness. Vor allem aber zeigen sie, wie der große Andy Kaufman (seines Zeichens World Women’s Wrestling Champion) einmal sagte, dass es kein besseres Drama auf der Welt gibt als Wrestling — und dass bei allen Diskussionen um die Fakeness der Kunstform essentiell immer ein sehr reales Ringen um Aufmerksamkeit und Ausdrucksfindung im Zentrum steht.
Wrestling ist Spiel, aber dabei nicht unernst. Wie bei jedem Spiel geht es um einiges, wenn nicht sogar: alles. Oder um es mit Freud zu sagen: „Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern Wirklichkeit.“ Und dieser zeigt sich Wrestling, in wie auch abseits unserer Retrospektive, um Längen überlegen. – Markus Lust