Forum für Übersetzungskritik

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Forum für Übersetzungskritik mit Caroline Sauter: „l’insolvable même“. Schuldigkeit und Zärtlichkeit des Übersetzens mit Jacques Derrida
In seinem Text „Was ist eine ‚relevante‘ Übersetzung?“ (übers. Esther von der Osten / Caroline Sauter, 2022) verhandelt Jacques Derrida die Rede Portias, wie überhaupt das gesamte Shakespeare-Drama The Merchant of Venice, als Übersetzungsproblem. Doch indem er gerade dem zentralen Satz „Then must the Jew be merciful“ seine Übersetzung verweigert und die Schuldigkeit des Übersetzers gegenüber dem Original nicht erfüllt, bringt er die Waagschalen der Übersetzung ins Ungleichgewicht. Ganz zu Anfang seines Textes setzt Derrida dem Diskurs von Schuld und dem (antisemitischen) Hass, der eine Logik der vernichtenden Konversion heraufbeschwört, mit starkem, doch zarten Gestus die Zärtlichkeit, caresse, entgegen. Gegen die Logik des quid pro quo entwirft Derrida eine Theorie der Übersetzung als sich verschwendende, sich hingebende, sich schenkende, zärtliche Liebkosung. Dies verdichtet sich im Doppelbild der züngelnden Flamme bzw. leckenden Zunge, langue, Sprache: Übersetzen ist la caresse d’une langue. Wie ist diese caresse zu übersetzen – in andere Sprachen, aber auch in eine Ethik, eine Politik, eine Philologie der Zärtlichkeit?
Beteiligte:
PD Dr. Caroline Sauter ist Vertretungsprofessorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Übersetzungstheorie und -praxis und in der europäisch-jüdischen Literatur- und Sprachtheorie (Benjamin, Rosenzweig, Scholem, Derrida, Cixous, Cassin). Sie ist Autorin einer Monographie über Walter Benjamins Übersetzungsphilosophie (Die virtuelle Interlinearversion, 2014) und zahlreicher wissenschaftlicher Aufsätze, Mitherausgeberin mehrerer Sammelbände sowie – gemeinsam mit Esther von der Osten – Übersetzerin von Jacques Derridas „Was ist eine ‚relevante‘ Übersetzung?“ (2022). Das der Übersetzung innewohnende Dazwischen (entre) ist die Leitlinie ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Ihr aktuelles Buchprojekt Essays on Language and Desire untersucht das Verhältnis von eros und logos von der biblischen Tradition bis in die zeitgenössische Theorie.
Reihe:
Das Forum für Übersetzungskritik ist eine Veranstaltungsreihe von Versatorium, die Raum für eine Reflexion über die experimentellen Arbeitsprozesse des Übersetzens gibt und für einen Erfahrungsaustausch mit Kooperations- und Gesprächspartner:innen über ihre Übersetzungs- und Lesepraxis poetischer Texte.