Fernheilung / Verkleidete Distanzen
Zeitgenössische Kunst Ausstellung
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Fernheilung
16.10.2025–31.1.2026, Refektorium
Verkleidete Distanzen
16.10.2025–31.1.2026, Sala Terrena
Fernheilung
16.10.2025–31.1.2026, Refektorium
Die 1980er und frühen 1990er Jahre im Zerrspiegel einer Sammlung
Kuratiert von Robert Müller im Dialog mit Helmut Draxler
Eine Ausstellung von Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien
Die Ausstellung Fernheilung blickt auf das künstlerische Geschehen in Wien in jenem Jahrzehnt, in dem die Sammlung der Angewandten gegründet wurde. Anhand von Werken aus dem Umfeld der damaligen Hochschule, von Dokumenten und von ausgewählten Leihgaben entsteht ein Parcours, durch den wichtige Ereignisse, Ausstellungen, künstlerische Strömungen und Diskursformationen in ihrem Zusammenhang erkennbar werden sollen. So werden die Praktiken von Lehrenden und Studierenden im Kontext des Ausstellungsgeschehens in Wien ebenso verortet wie in den internationalen Tendenzen der Zeit. Dadurch können auch damit verbundene – teilweise generationelle – Brüche und Motive des Dissenses exemplarisch nachgezeichnet werden.
Markiert jede Sammlung notwendigerweise Ein- und Ausschlüsse entlang weitgehend opaker, sich nur gelegentlich lichtender Verhältnisse, so versucht diese besondere Sammlung bereits in ihren Anfängen in den 1980er Jahren unter der Leitung von Oswald Oberhuber und Erika Patka sich selbst in ihrer historischen Bedingtheit zu begreifen. Man sammelt zwar durchaus nach Lust und Laune, jedoch mit einem programmatischen Anspruch, der in Ausstellungen auch öffentlich sichtbar gemacht werden soll. Zunächst zielt jenes Programm darauf, den Kanon des 20. Jahrhunderts neu zu ordnen und zu bewerten, welchen Anteil die Kunstgewerbeschule an seiner Etablierung trug; außerdem befasste es sich mit der in Österreich erst sehr spät beginnenden Aufarbeitung des kollektiv verdrängten Anteils am Nationalsozialismus; und schließlich versucht es, das aktuelle Zeit- und Schulgeschehen (kunst-)historisch abzubilden.
Die Ausstellung Fernheilung möchte an diese Programmatik anknüpfen, indem sie die Logik dieser Sammlung aufgreift: in der Art und Weise, wie sie den Sammlungskörper beschreibt, darin Akzente setzt, Korrekturen und neue Kontextualisierungen vornimmt. Die Sammlung der Angewandten bleibt sich treu, indem sie sich verändert. Somit entwirft die Ausstellung ein Bild der Sammlung, das gleichzeitig geschichtlich und gegenwärtig ist. Durch unterschiedliche, einander widerstrebende, ja widerstreitende Register von Zeitgenoss:innenschaft wird dieses Bild zum notwendig verzerrten Spiegelbild je eigener Blickregime, Wertformen und Betrachtungsweisen.
Dementsprechend wird der Begriff der Fernheilung hier nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich verstanden. Er verkörpert weniger ein teleologisches Motiv, als würde ein Phantasma von Erlösung aufgerufen, sondern vielmehr den Ausdruck einer bis zur Unmöglichkeit reichenden Schwierigkeit, „therapeutische“ Problemstellungen und Setzungen zu beleuchten, die mit jedem historischen Aktualisierungsversuch einhergehen. Anders, als es diesem Titel nach zu vermuten steht, kann die Ausstellung weder eine gesamte Dekade erschöpfend beschreiben, noch kann sie Vollständigkeit, oder annähernd so etwas wie Heilung behaupten (vielmehr wäre, wenn man überhaupt in dieser Terminologie verbliebe, Krankheitseinsicht treffender).
Entlang paradigmatischer Ausstellungen und Veranstaltungen wie Design ist unsichtbar (Forum Design, Linz 1980), Zeichen, Fluten, Signale (Galerie Nächst St. Stephan, Wien 1984), Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930 (Künstlerhaus, Wien 1985), Wittgenstein. Das Spiel des Unsagbaren (Secession, Wien 1989) oder dem Symposium Das ästhetische Feld (Angewandte, Wien 1992) werden Entwicklungen wie die Kanonisierung der frühen Wiener Moderne und die späte Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit thematisiert. Die Ausstellung beleuchtet die gescheiterte Institutionalisierung von Praktiken der 1960er und 1970er Jahre an der Hochschule, Medienkunst und Neo-Geo, sowie ihre Hinwendung zur Institutional Critique. Nachgezeichnet werden auch die intergenerationellen Kampfzonen und der lange Weg zur Internationalisierung des Kunstfeldes im Kontext der Angewandten.
Fernheilung ist daher kein kulturhistorischer Abriss einer Dekade; vielmehr versucht die Ausstellung, den Zusammenhang stets verdichteter künstlerischer Produktion mit ihren sich rasch verändernden raum-zeitlichen Bedingungen zu fassen und derart der Sammlung selbst, über ihre spezifischen Grenzziehungen und Rahmungen hinweg, ein eigenständiges kulturelles Profil zuzuschreiben – auch auf die Gefahr hin, so ein weiteres Zerrbild des Zerrbildes zu erzeugen.
Verkleidete Distanzen
16.10.2025–31.1.2026, Sala Terrena
migratory aesthetics and counter-public spheres in the gdr
Kuratiert von Elisa R. Linn
Mit Beiträgen von u. a.:
Jürgen Wittdorf, Clara Mosch, Núria Quevedo, Mahmoud Dabdoub, Gabriele Stötzer, Raja Lubinetzki, Materialien aus dem Archiv GrauZone, Bärbel Bohley, Ulrich Polster, Annemirl Bauer eingeladen von Sandra Teitge, César Olhagaray, Ronald M. Schernikau, Marina Gržinić & Aina Šmid, Künstlerinnengruppe Erfurt, Geraldo Paunde, De-Zentralbild, Lutz Dammbeck, frau anders, Jayne-Ann Igel, Jürgen Baldiga, Ladies Neid, Namenlos, Sarah Schulman
Konzeption der Ausstellungsarchitektur von Lennart Wolff
Bleibt jeder Grenzüberschritt
ist dieses nachvollzogene Ritual
Einer Abnabelung [1]
„Die (Berliner) Mauer war das Kondom der DDR“, stellte die Deutsche AIDS-Hilfe 1990 fest und griff damit eine in der DDR bereits geläufige Metapher auf. Der sogenannte „Antifaschistische Schutzwall“ sollte nicht nur äußere Einflüsse des „westlichen Klassenfeindes“ abwehren und Flucht verhindern, sondern auch nach innen gegen vermeintlich „ansteckende“ Einflüsse abschirmen. Doch die Metapher vom „Kondom“ war letztlich irreführend: Die Mauer war zugleich militarisierte Grenze und „halb durchlässige Membran“ – porös nicht nur gegenüber Aids, sondern auch gegenüber Grenzgänger:innen, ihren Identitäten und Denkweisen, die Zwischenräume für alternative (Gegen-)Öffentlichkeiten schufen.
Die Ausstellung untersucht die Auswirkungen von Grenzen auf die Entstehung von Gegenöffentlichkeiten an der Schnittstelle von Kunst, Literatur und Aktivismus – in der DDR sowie in den Umbruchmomenten des Mauerfalls und der Zeit nach der Wiedervereinigung. Sie umfasst künstlerische Arbeiten, lyrische Texte, archivarische Materialien und eine Bibliothek „von unten”. Wie entwickelten Schaffende ein „Grenzdenken” (Gloria Anzaldúa und Walter Mignolo), ein Denken an und über die Grenze zwischen Ideologien, Sprachen, Identitäten, normativen Vorstellungen von Körper, Sexualität und staatsbürgerlicher Zugehörigkeit? Und wie verhalf ihnen dieses Denken, sich den Architekturen staatlicher Repräsentation und Subjektivierung sowie der „Schere im Kopf”, einer inneren Selbstzensur, zu entziehen?
Die Beiträge dieser Ausstellung machen die Grenze – sei sie physisch gebaut, ideologisch, körperpolitisch, kulturell oder medial – sichtbar, überschreiten und besetzen sie als diasporischen Ort der Artikulation. Jene ästhetischen Strategien im öffentlichen, semi-öffentlichen oder im intimsten privaten Raum unterlaufen mitunter ikonografische Identitätsbilder, wie sie im sozialistischen Realismus durch den staatlich propagierten „neuen Menschen“ verkörpert wurden. Andere verschreiben sich der Suche nach dem befreienden Wort in lyrischen und erzählerischen Texten, geprägt von sprachlicher Doppelbödigkeit, die das Metamorphieren und „Minoritär-Werden” gegen die Verstummung produktiv machen. Manche Künstler:innen nutzen den autonomen künstlerischen Umgang mit neuen Medien für eine „intermediäre Grenzüberschreitung“ mit (Schmal-)Filmexperimenten im Schattenraum des Legalen oder verschreiben sich performativ-aktionistischen und fotografischen Experimenten mit dem Körper als politischem Raum. Andere wiederum entgegnen den kolonial geprägten, entsubjektivierenden Fremdzuschreibungen mit Eigensinn und subjektiven künstlerischen Ausdrucksformen – fernab des offiziellen Alltags als Vertragsarbeiter:innen im Bruderland.
Die in der Ausstellung versammelten Beiträge verhandeln zwischen Autonomie und dem Eingeschlossensein im verdichteten Raum, zwischen Abstoßung und sexuellem Begehren, zwischen Gemeinschaftsformen des Miteinanders und Erfahrungen der Vereinzelung und des Exils. Sie geben dabei einen Anstoß, das Transzendieren und Migrieren von einem Ort, einer Identität, einem Geschlecht zum anderen nicht nur als Ausnahmezustand, Moment der Entfremdung oder potenzielle Bedrohung zu verstehen. Vielmehr regen sie dazu an, die Grenze zu entkräften, sie neu anzueignen und sie zugunsten ihrer Liminalität und jenseits territorialer und kategorialer Denkweisen zu verorten. Fernab des Versuchs einer linearen, umfassenden Überblickserzählung befragt die Ausstellung das ästhetische Potenzial der unterschiedlichen Beiträge aus dem subjektiven Blickwinkel einer Nachwendegeneration: als nonkonforme Praktiken, die alternative künstlerische Lebens-, Handlungs- und demokratische Gemeinschaftsformen entwarfen und damit bisweilen auch die Angleichung an die Normen und Eigentumsverhältnisse einer patriarchal geprägten kapitalistischen Gesellschaft Westdeutschlands anzweifeln. Welche Potenziale haben diese Praktiken heute, in einer Zeit, in der Nativismus und Abschottung mehr und mehr die Realpolitik eines „starken“ vereinten Deutschlands untermauern?
[1] Lubinetzki, Raja (2019): Der barfußne Tag. Gedichte. Berlin: Distillery Verlag, S. 4.