Televisionen 70 Jahre ORF

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Retrospektive
70 Jahre Filmarchiv und 70 Jahre Fernsehen in Österreich – ein Doppeljubiläum, das Anlass ist, in unserem eigenen Themenschwerpunkt Landvermessung zu einem kleinen Streifzug durch das Archiv des ORF aufzubrechen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Programmen der in vieler Hinsicht progressiven 1970er-Jahre, in der die gesellschaftspolitische, aber auch künstlerische Bedeutung des Fernsehens wohl ihre spannendste Ausprägung erfährt. Mit der Sendereihe VIELGELIEBTES ÖSTERREICH unternimmt der ORF sogar seine eigene Form der Landvermessung in den 1970ern – erstmals sind nun alle 14 Episoden im Kino zu sehen. Freuen Sie sich also auf ein Wiedersehen mit Klassikern, Kostbarkeiten – und den ein oder anderen vergessenen Fernsehschatz.
Mit freundlicher Unterstützung durch das ORF-Archiv
Am Puls der Zeit
»Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich begrüße Sie recht herzlich zu unserem Fernsehprogramm.« Mit diesen Worten begrüßt am 1. August 1955 um Punkt 17 Uhr die Schauspielerin und Sprecherin Franziska Kalmar die Zuschauer:innen vor den Bildschirmen. Die Geburtsstunde des Fernsehens – und Ausgangspunkt einer der größten medientechnischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts in Österreich. Zweifellos steht fest, dass das Fernseharchiv des ORF, das seitdem Stunde um Stunde um »content« anwächst, zu den interessantesten und potentesten Speicherzonen österreichischer Nachkriegsgeschichte zählt. Umso unbefriedigender mag da der selbstvergessene Umgang des Unternehmens mit der eigenen Vergangenheit für manche heutzutage wirken – auch und gerade in einer Zeit, in der lineare Fernsehangebote weitgehend bedeutungslos geworden sind. Die Erinnerung an den Innovationsgeist manch unkonventioneller Formate findet somit in einem anderen Medium statt, mit dem es über Jahrzehnte (vermeintlich) um die Publikumsgunst konkurriert hat: dem Kino.
Demnach erscheint es uns logisch, unsere Schau nicht zwingend an den großen Highlights aufzuhängen und ein Best-Of zu präsentieren, sondern – mit einer Ausnahme – auf jene Jahre nach der Rundfunkreform 1967 zu fokussieren, in denen das Medium auf der Suche nach mehr Wirklichkeit seine Sinne schärft, dynamische Kreativzonen eröffnet und zur herausragenden Talenteschmiede des Landes avanciert. Für Regisseur:innen wie Axel Corti, Fritz Lehner, Susanne Zanke oder Karin Brandauer (an deren Schaffen wir im Oktober erinnern werden) ist das Fernsehen ein erster wichtiger Auftraggeber – eine Möglichkeit, sich zu präsentieren, eine eigene Handschrift zu finden und von Projekt zu Projekt zu wachsen: Wie in vielen anderen europäischen Ländern ist die nationale Filmgeschichte auch in Österreich eng mit der Entwicklung des Fernsehens verknüpft.
Parallel dazu entstehen strukturoffene, experimentierfreudige Magazinformate wie APROPOS FILM, VIELGELIEBTES ÖSTERREICH und in weiterer Folge die KUNST-STÜCKE, die wiederum die Bedeutung des Fernsehens in Zusammenhang mit dem Avantgardefilm und vor allem dem Dokumentarfilm unterstreichen.
So lädt die Landvermessung im September dazu ein, lustvoll eine Epoche TV-Geschichte zu durchstöbern, in der vieles erlaubt und fast alles möglich war – mit einem Programm, das die visionäre Kraft andeutet, die einst vom Fernsehen ausgehen konnte.
(Ernst Kieninger, Florian Widegger)