Banana Circus
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Eine Zusammenarbeit mit Wolfgang Vollmer/Henry Rox Archive Cologne
In den Händen von Henry Rox verwandelten sich Obst und Gemüse nicht in Stillleben, sondern in anthropomorphe Gestalten. Im Exil nutzte der Bildhauer den Formenreichtum des vergänglichen Materials, um daraus spielerisch Szenen voll hintergründigem Humor zu arrangieren. Rox (1899–1967) wurde als Heinrich Rosenberg in Berlin geboren. Er emigrierte zuerst nach London und 1939 in die USA.
Technisch perfekt umgesetzt in „Photo-Sculptures“ fanden seine Figuren zunächst als Bildergeschichten und Illustrationen in Kinderbüchern Verbreitung, schließlich begeisterten sich renommierte Zeitschriften wie Vogue oder Life für die einzigartigen Kreationen. Selbst in einem Hollywoodfilm wurde sein Obstorchester eingesetzt.
Der Bildhauer als Regisseur
Mit der Emigration nach London 1934 ließ Heinrich Rosenberg seine Heimat zurück, zugleich aber auch die Konventionen der klassischen Bildhauerei, in der er ausgebildet war. Er nannte sich nun Henry Rox und wandte sich nicht nur neuen Materialien zu, sondern setzte auf eine unkonventionelle künstlerische Strategie: In den Filmstudios von Pathé in Paris und durch seinen – ebenfalls nach Großbritannien emigrierten – Wiener Freund Alex Strasser (1898–1974), Regisseur, Kameramann und Autor von Filmbüchern, hatte er sich Aufnahme- und Schnitttechniken des Kinos angeeignet, die er nun aufs Fotografieren anwendete. Als er ab 1935, statt wie früher mit Holz und Ton zu arbeiten, seine Figuren aus Obst, Gemüse und Knetmasse zusammensetzte, brauchte er die Kamera, um seinen Werken Dauer zu verleihen. In einfachen „Kulissen“ in Szene gesetzt und raffiniert beleuchtet, wurden aus den kleinen Gestalten menschlich erscheinende Persönlichkeiten mit individuellem Charakter.
Aus der Not heraus – statt eines weitläufigen Ateliers stand ihm nur mehr ein Küchentisch als Arbeitsplatz zur Verfügung – gelang es Rox, mit den Inszenierungen seines Obst- und Gemüsepersonals ein wachsendes Publikum über die Grenzen der Kunstwelt hinaus zu begeistern. Bald wurde auch Hollywood auf ihn aufmerksam und verwendete sein „Gemüseorchester“ in einem Film mit Judy Garland und Mickey Rooney (Strike up the Band, 1940).
Rox‘ Akteure mögen hausgemacht und stumm sein, die Situationen, in die sie der Künstler – angeregt durch ihre Form und Farbe – versetzt, sprechen dafür umso deutlicher. Versehen mit schwarzen Stecknadeln als Augen wird aus der Tomate ein menschlicher Kopf mit (spärlicher) Haartracht, der sich aus Angst, Ärger oder durch Sonneneinwirkung rot gefärbt hat. Zwischen zwei Kürbis-Professoren hingegen spielt die kugelrunde Frucht überzeugend die Rolle eines Globus. Was in der Karikatur lange Tradition hat, gewinnt im Medium Fotografie eine ganz neue Dimension. Ihr inhärenter Realismus betont die Absurdität der abgebildeten Szenen: „Hier wird fotografisch festgehalten, was nicht wirklich existiert. Fotografie impliziert aber den beweisenden Charakter, im Wechselspiel dieser Wahrnehmung entsteht die Faszination.“ (Wolfgang Vollmer)
Vom Kinderbuch zur Modeschau
Gleich den Surrealisten, die auf der Suche nach Anregungen durch Alltägliches als Flaneure die Stadt durchstreiften, ließ Rox sich vom Formen- und Oberflächenreichtum seiner diversen essbaren Materialen inspirieren. Statt sich mit der kunstfertigen Nachahmung der Wirklichkeit zu befassen, baute er das Gefundene selbst in seine Kreationen ein. Doch während im Surrealismus das Fremdartige und Ungewöhnliche vor Augen geführt werden sollte, spielte Rox ganz bewusst mit der Banalität des aus dem Gemüsehandel Zusammengetragenen, dem er mit Hilfe weniger Handgriffe menschliche Züge verpasste. Im Kunsthistoriker James Laver (1899–1975) – einem der großen Modetheoretiker seiner Zeit – fand Rox dann einen Autor, der sich um den Helden Tommy Apple rankende fantasievolle Geschichten für Kinder ausdachte.
Die Kinderbücher waren ein großer Erfolg. Tatsächlich wurde hier Neuland betreten: Statt der alten Tradition der Vermenschlichung von Tieren zu folgen, ließen Rox und Laver hier Gurken, Tomaten und Karotten agieren. Auch die Verwendung von Fotografien in Kinderbüchern war unüblich.
Die Lage änderte sich, als renommierte amerikanische Zeitschriften auf Rox aufmerksam wurden und seine Fotografien in hoher Qualität abdruckten. Als Geschichten oder als ironisch gemeinte Kommentare zur aktuellen Mode, in denen eine Selleriestange die „knackige“ Rückenpartie eines Modells verkörperte und ein Karfiol zum bauschigen Unterrock mutierte, setzten Redaktionen und Werbestrategen oft auf die aufmerksamkeitserregenden Inszenierungen von Henry Rox. Selbst ein Schallplattencover mit einem seiner Bananen-Pärchen existiert. Er selbst gab ab 1950 Ansichtskarten zahlreicher seiner Motive heraus, die bis in die 1970er Jahre weithin kursierten.
Publikation zur Ausstellung:
Wolfgang Vollmer, Henry Rox Revue. Fotografie/Photography. 1935–1955, 34 Seiten (Hardcover-Bilderbuch mit Beiheft), Text deutsch/englisch, Salzburg: Fotohof Edition, 3. erweiterte Auflage, 2025.